Rechtstipps

Materialpreissteigerungen und Lieferengpässe als Folge der COVID 19 - Pandemie - Auswirkungen auf Verträge

Bereits über mehrere Monate haben die Auswirkungen der COVID 19-Pandemie auch die österreichische Baubranche fest in ihren Händen. Neben erheblichen Preissteigerungen und einer stark eingeschränkten Verfügbarkeit von zahlreichen Baustoffen und Materialien kommt es zu Lieferengpässen und zeitlichen Verzögerungen bei Auftragsabwicklungen. Doch wer hat für allfällige Mehrkosten einzustehen bzw. trägt das Risiko von Störungen bei der Erbringung der geschuldeten vertraglichen Leistung?

Punkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 normiert, dass Ereignisse der Sphäre (Risiko) des/der Auftraggebers/in zugeordnet werden, wenn sie entweder die vertragsgemäße Ausführung der Leistung objektiv unmöglich machen oder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom/von der Auftragnehmer:in nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.

Lieferengpässe nach ÖNORM B 2110
Daraus lässt sich ableiten, dass, wenn es durch unvorhersehbare Entwicklungen zu Lieferengpässen von notwendigen Materialien oder Baustoffen kommt, Leistungsstörungen in die Sphäre des/der Auftraggebers/in fallen. Allfällige Pönalforderungen bzw. das Abwälzen von Mehrkosten auf den/die Auftragnehmer:in sind somit nicht möglich.

Preissteigerungen nach ÖNORM B 2110
Bei unvorhersehbaren und unzumutbaren Preissteigerungen hingegen kommt es darauf an, ob Festpreise oder veränderbare Preise vereinbart wurden.

Festpreise
Bei einer Festpreisvereinbarung bleibt der Preis ohne Rücksicht auf etwa eintretende Änderungen der Kostengrundlagen (KV-Löhne, Materialpreise, soziale Aufwendungen etc.) unverändert. Bei „unvorhersehbaren nachträglichen Änderungen“ im Bereich der Kalkulationsgrundlagen ist durch Vertragsauslegung zu klären, ob auch dieses Risiko vom/von der Auftragnehmer:in übernommen wurde. Da es sich bei Festpreisen in der Regel um Fixpreise handelt, in denen auch mögliche Preisschwankungen sowohl nach oben als auch nach unten vorab einkalkuliert wurden, gehen Preissteigerungen von Materialen ohne abweichende vertragliche Regelung grundsätzlich zu Lasten des/der Aufragnehmers/in. Sollte die Festpreisbindung eine Vertragspartei in einem nicht zumutbaren Ausmaß benachteiligten, kann einvernehmlich das Abgehen von vereinbarten Festpreisen ratsam sein.

Veränderliche Preise
Ein veränderlicher Preis hingegen ist ein Preis, der unter bestimmten Voraussetzungen bei Änderungen vereinbarter Preisumrechnungsgrundlagen (z.B. nach der ÖNORM B 2111) geändert werden kann. Dementsprechend ist mittels Vertragsauslegung zu klären, inwieweit Preisveränderungen bei Umrechnungen veränderlicher Preise abgedeckt sind. Auch bei veränderbaren Preisen ist es jedenfalls sinnvoll, die Umrechnung einvernehmlich anzupassen (z.B. Wahl eines anderen Index, Anpassung der Gewichtung oder Änderung der Umrechnungsstichtage), sofern diese eine der beiden Seiten in einem nicht zumutbaren Ausmaß benachteiligt. 

Zweifelsregelung nach ABGB und ÖNORM B 2110
Sofern aus dem Vertrag nicht klar hervorgeht, ob ein Festpreis oder ein veränderlicher Preis vereinbart ist, normiert das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch und die ÖNORM B 2110 unterschiedliche Regelungen. Bei Verträgen, in denen die ÖNORM B 2110 nicht gilt, sind Auslegungsfragen nach den Bestimmungen des ABGBs zu beurteilen und gelten im Zweifel als Festpreisverträge. Die ÖNORM B 2110 hingegen legt fest, dass Leistungen, die nach dem Vertragsinhalt innerhalb von sechs Monaten nach Ende der Angebotsfrist zu beenden sind, als zu Festpreisen abschlossen gelten. Zudem gelten Leistungen als zu Festpreisen vereinbart, wenn im Vertrag keine Leistungsfrist vereinbart ist, und die Leistungen vor Ablauf von sechs Monaten nach Ende der Angebotsfrist beendet werden. Alle übrigen Leistungen, die nicht von obigen Szenarien erfasst sind, gelten als veränderliche Preise abgeschlossen.

Regelung für Konsument:innen
Bei Verträgen, die den Regelungen des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) unterliegen, ist die Vereinbarung veränderlicher Preise nur dann möglich, wenn sowohl eine Entgelterhöhung als auch eine Entgeltsenkung möglich ist, und die für die Entgeltänderung maßgebenden Umstände im Vertrag umschrieben und sachlich gerechtfertigt sind, sowie, dass der Eintritt dieser Umstände nicht vom alleinigen Willen des/der Unternehmers/in abhängt.

Sphärentheorie des ABGB
Wurde die ÖNORM B 2110 nicht als Vertragsgrundlage vereinbart, gelten die Regelungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Die Sphärentheorie der Werkvertragsnorm legt in Abweichung der ÖNORM B 2110 und somit zu Lasten der Auftragnehmer:innen fest, dass Preissteigerungen und Lieferengpässe in die „neutrale Sphäre“ fallen und somit grundsätzlich dem/der Auftragnehmer:in anzulasten sind.

Anmeldung von Mehrkostenforderungen
Sind Preissteigerungen bzw. Lieferengpässe absehbar, müsste der/die Auftragnehmer:in jedenfalls die Forderung auf Vertragsanpassung nach Punkt 7.3. der ÖNORM B 2110 anmelden. Auch bei einer rechtlichen unsicheren Situation sollten Ansprüche auf Preisanpassung und Verlängerung der Leistungsfrist im Zweifel im Grunde nach angemeldet und aus Beweisgründen schriftlich geltend gemacht werden.

Empfehlung des Bundesministeriums für Justiz für zukünftige Ausschreibungen
Für zukünftige Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen ist auf die Bestimmung des Bundesvergabegesetzes (§ 29 Abs. 5 BVergG 2018) hinzuweisen, in der grundsätzlich eine Präferenz für die Ausschreibung von Festpreisen vorgesehen ist. Nur wenn den Vertragspartner:innen nicht durch langfristige Verträge oder durch preisbestimmende Kostenanteile, die einer starken Preisschwankung unterworfen sind, unzumutbare Unsicherheiten entstehen, ist zu veränderlichen Preisen auszuschreiben, anzubieten und zuzuschlagen. Der Zeitraum für die Geltung fester Preise darf grundsätzlich die Dauer von zwölf Monaten nicht übersteigen.

Ergänzend wurde in einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz vom 25.5.2021 nunmehr die generelle Empfehlung ausgesprochen, bei preisbestimmenden Kostenanteilen, die einer starken Preisschwankung unterworfen sind und kalkulatorische Risiken begründen, die über das normale unternehmerische Risiko hinausgehen, aus Gründen des fairen Wettbewerbs jedenfalls (also auch dann, wenn die Leistung binnen zwölf Monaten nach dem Ende der Angebotsfrist erbracht wird) zu veränderlichen Preisen auszuschreiben. Maßgebliches Kriterium hierfür sind die ansonsten (bei einer Ausschreibung zu Festpreisen) resultierenden unzumutbaren Unsicherheiten (für den/die Unternehmer:in oder für den/die Auftraggeber:in). Dies ist auch in Zusammenhang mit dem Grundsatz des § 88 Abs. 2 Satz 1 BVergG 2018 zu sehen, wonach dem/der Bieter:in mit der Ausschreibung nicht unkalkulierbare Risiken übertragen werden dürfen.

Sollten Sie weitere Fragen zu dieser Thematik haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.